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Einst harter Broterwerb: Tappenmacherei
in der ärmlichen Wohnstube

„Die Erinnerung an die Tappenmacherei, die in Gehülz und Ziegelerden einst für viele Menschen überlebensnotwendig war, hatte im Wirken des Heimatpflege-Vereins Gehülz/Seelach/Ziegelerden gerade in den letzten beiden Jahren einen besonderen Stellenwert.“ Dieses Resümee zog Vorsitzender Bernd Graf bei einem vereinsinternen Rückblick im Mai 2008. Dabei sei neben weiteren Aktivitäten zu diesem Thema vor allem die von Anja Weigelt M. A. auf Festung Rosenberg gestaltete Ausstellung „Von Heimarbeit zu Hightech“ über die industrielle Entwicklung des Landkreises Kronach in den letzten 200 Jahren hervorzuheben, in deren Rahmen auch über die Tappenmacherei – speziell in Gehülz und Ziegelerden – informiert wurde. Zur Veranschaulichung für die vielen Ausstellungsbesucher hatten dort Oswald Schubart und Reinhard Graf vom Heimatpflege-Verein einen Tappenmacher-Arbeitsplatz mit den originalen Arbeitsgeräten und Materialien aufgebaut, wie er sich um 1930 in etlichen Wohnungen beider Haßlacherberg-Gemeinden befunden hatte. Besonders groß war das Besucherinteresse, als Oswald Schubart bei einem Erlebniswochenende Tappen genauso fertigte wie anno dazumal. Seit dem Abbau der Ausstellung bewahrt der Heimatpflege-Verein die musealen Gegenstände zur Tappenmacherei auf dem Dachboden des Ziegelerdener Schulhauses auf.

Hausindustrie, Heimgewerbe und Hausierhandel
Die Tappenmacherei half in Gehülz und Ziegelerden vielen Menschen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und Notzeiten durchzustehen. In den ritterschaftlich peuplierten Orten waren Hausindustrie, Heimgewerbe und Hausierhandel typische Erwerbsquellen vieler Einwohner. Dabei dominierten in den beiden genannten Haßlacherberg-Gemeinden die Herstellung und der Vertrieb von verschiedenartigen Korbwaren (u. a. Weiden- und Palmkörbe) sowie von Tappen. Bereits um und nach 1800 entstanden Tappen aus Kuh- und Ziegenhaaren, nach dem Ersten Weltkrieg, besonders nach 1930, aus Stoffresten und Reifengummi.
Wie der in Gehülz als Lehrer tätige Georg Hertel feststellte, waren vom Industriesterben in Kronach die umliegenden Arbeitersiedlungen schwer betroffen. „Der empfindlichste Schlag für unsere Bevölkerung war die Verlagerung der Wassermannschen Schuhfabrik nach Fürth“, so Hertel. „Die Not zwang die brotlos gewordenen Arbeiter zur Selbsthilfe. Sie versuchten, ihre erlernten Kenntnisse zuhause zu verwerten.“ Arbeitsmarktbedingt wandten sich immer mehr Menschen der Fertigung von Tappen zu, um diese selber zu verhausieren oder an Betriebe bzw. Händler abzugeben.

Selbst das kleinste Kind arbeitete eifrig mit
In den Tappenmacherfamilien wurde von früh bis spät gearbeitet. In einer zeitgenössischen Schilderung (Frankenwald-Kalender Kronach 1932/33) heißt es: „Wer in eine der Ortschaften kommt, der findet schon früh vor Tage die Fenster erleuchtet, und in den kleinen Stuben arbeiten Mann und Frau und selbst das kleinste Kind eifrig an den Tappen. Immer größer wird die Zahl der Tappen, die in der Woche hergestellt werden müssen, damit man halbwegs auf ein paar Mark kommt. Und darum gibt es auch keinen Feierabend bei den Tappenmachern.“
Willi Munzert († 2001) vom Heimatpflege-Verein Gehülz/Seelach/Ziegelerden hat für 1937 die Zahl der in Gehülz und Ziegelerden monatlich hergestellten Tappen auf rund zehntausend Paar geschätzt, wobei aber die verfügbaren und zugrundegelegten Hersteller-Verzeichnisse unvollständig sein können. In Band 3 (1993) der Vereins-Schriftenreihe (S. 60 ff.), wo Munzert auch die einzelnen Materialien, Geräte und Arbeitsschritte beim Tappenmachen beschreibt, ist zu lesen: „Bald waren immer mehr hausierende Männer, während des Krieges auch Frauen, mit Graskörben unterwegs, welche mit bis zu 70 Paar Tappen bepackt waren und deren Fassungsvermögen man durch oben aufgesetzte, zusammengerollte Pappe vergrößert hatte.“ Nach der Währungsreform (1948) wurden statt der Tappen aus Lumpen und Fahrradreifen – dank verfügbarer hochwertigerer Materialien – Hausschuhe „in noch besserer Güte“ gefertigt. Noch 1950 lebte in der Gemeinde Gehülz ein Viertel der Einwohnerschaft von der Herstellung von und vom Handel mit Tappen. Vgl. Band 4 (1997) der Vereins-Schriftenreihe „Historisches vom Haßlacherberg“ (S. 263).

Beispiele für weitere Erinnerungsaktivitäten
Beim „Entmannsdorf-Fest“ im Rahmen der Gehülz/Seelacher Ortsjubiläen 1998 führte der ehemalige Tappenmacher Oswald Schubart im Garten der Gehülzer St.-Michael-Kirche vor, wie einst die Tappen in vielen Häusern gefertigt worden waren. Gleiches zeigte er im selben Jahr in der Volksschule Gehülz-Ziegelerden, die mit dem Projekt „Vergangenheit erleben“ heimische Geschichte nachempfinden und „begreifen“ ließ (vgl. Heimatkundliches Jahrbuch des Landkreises Kronach Nr. 24 S. 79). Am Festumzug zu Kronachs Tausendjahrfeier 2003 beteiligten sich die Vereine Ziegelerdens mit einem informativen Tappenmacher-Motivwagen. Im Ziegelerdener Wappen, das 2005 auf Initiative des Heimatpflege-Vereins Gehülz/Seelach/Ziegelerden eingeführt wurde, ist unter anderem ein Tappenpaar dargestellt.   -bg.-

Veröffentlicht am 8. 5. 2008

Zur Tappenmacherei von Gehülz und Ziegelerden

 

Auf der Kronacher Ausstellung von 2006, die in ihrer Verlängerungsphase auch im Folgejahr geöffnet war, wurde ein Tappenmacher-Arbeitsplatz mit den originalen Arbeitsgeräten und Materialien gezeigt, wie er sich um 1930 in etlichen Wohnungen von Gehülz und Ziegelerden befunden hatte (Foto oben von Bernd Graf). Die nachfolgenden Bilder von Georg Hertel entstanden Anfang der 1930er Jahre in einem Tappenmacher-Familienbetrieb in Gehülz-Brunnschrot.