Mundart und Bibel: Ob Jesus heute Fränkisch spräche?
Das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt nannte ihn einen „originellen Typ“: Pfarrer Hartmut Preß machte sich durch etliche „aus dem Rahmen gefallene“ Aktionen überregional einen Namen. So wurde er für 2026 gesammelte Kindersprüche ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen. Doch die wohl größte Resonanz erfuhren die Übersetzungen von Teilen der Heiligen Schrift ins Fränkische.
War das Markus-Evangelium auf Fränkisch („Obä Jesus hot gsocht…“) noch das Werk eines einzelnen Übersetzers (Preß), so lag dann dem „fränkischen Lukas“ die originelle Idee des Pfarrers zugrunde: „Eine Region übersetzt ein Evangelium.“ Als bei diesem ökumenischen Projekt rund 70 Autoren aus ganz Franken – unter ihnen der Gehülzer Bernd Graf – als Mitübersetzer agierten und „a weng Luther spielten“, dachten sie auch an den Ausspruch Martin Luthers zurück, dass man dem Volk aufs Maul schauen müsse. Deshalb war es bei der Übersetzungsarbeit nicht damit getan, nur Wort für Wort aus dem Hochdeutschen in die Mundart zu übertragen. Wenn beispielsweise (nach der Luther-Übersetzung) Jesus das Schicksal eines Aussätzigen jammerte, dann ist es ihm auf Fränkisch „dorch und dorch ganga“. Eine Kostprobe in Gehülzer Fränkisch (Lukas 21, 25 – 33) ist auf dieser Seite unten zu finden.
Glaubensinhalte nicht einer Spezialisten-Sprache überlassen
Mit dem „Lukas auf Fränkisch“ entstand ein ökumenisches „Volksbuch für Franken“ – von und für Menschen, die beides sind: Muttersprachler und mündige Christen. Auch erschien in Kooperation von „Buchverlag Fränkischer Tag Bamberg“ und „Evangelischer Funk-Agentur München“ ein Hörbuch mit gleichem Titel. Durch das Gesamtprojekt wurden nicht nur die regional unterschiedlichen Sprechvarianten fränkischer Mundart, sondern auch die entsprechend vielfältigen Schreibweisen mundartlicher Laute dokumentiert. Das solle selbstverständlich nicht einem christlichen Partikularismus dienen, merkte Projektleiter Preß an. „Davor wird uns Lukas in seiner Nachfolge Jesu bewahren, der eine weltweite, alle Grenzen, auch Sprachgrenzen, überschreitende Gemeinschaft der Christen verkündet hat.“ Als einziger Evangelist stelle Lukas die Geschichte Jesu in den Rahmen der Weltgeschichte, erklärte Preß. Lukas mache sich ähnliche Gedanken zum Thema „Weltgeschichte und Gottes Geschichte“ wie Menschen heutzutage.
Ein zentrales Anliegen des in Bamberg lebenden Ruhestands-Pfarrers war und ist es, der Mundart auch in der Kirche den ihr zustehenden Platz zu verschaffen, „damit Inhalte des Glaubens nicht nur in einer Spezialisten-Sprache verhandelt werden“. Preß, der wiederholt auch auf der Gehülzer „Mundart-Kanzel“ zu St. Michael stand, gab sich überzeugt: „In Mundart können Menschen mit einer unübertrefflichen Verstandesschärfe und Herzenswärme reden.“ Für Hochmut der Hochdeutsch Sprechenden – so der evangelische Theologe – sei ganz und gar kein Anlass. Wer sich auf Mundart einlasse, entdecke deren Reichtum.
Vom Reiz, Theologisches mundartlich zu formulieren
Ob die Bibel durch Übertragung in eine Mundart nicht in ihrer Würde beschädigt wird, wurde verschiedentlich gefragt. Pfarrer Preß hielt derartigen Bedenken entgegen, dass Mundart sprechende Menschen sich mindestens genauso differenziert und poetisch ausdrücken können wie andere. Dass die Heilige Schrift durch die Mundart nicht lächerlich gemacht werde, verdeutlichte Preß am Beispiel der Passions- und Ostergeschichten: „Mir ist die Leidensgeschichte Jesu nie so nahe gegangen wie bei der Übertragung in den Dialekt.“ Auch Elmar Schatz (RNT Bayreuth) stellte in einer Buchbesprechung zur zweiten Auflage des „Lukas auf Fränkisch“ fest: „Beruhigt werden kann, wer glaubt, die Bibel wäre hier trivial aufbereitet. Ernst und Ehrfurcht waren Hartmut Preß und seinen Mitstreitern bei jeder Silbe wichtig.“ Die Übersetzung ins Fränkische stellt laut Preß einen Versuch dar, das Evangelium „denen noch heimischer zu machen, die im Fränkischen daheim sind“. Vielleicht könne manchem über seine Muttersprache ein neuer Zugang zur christlichen Botschaft erschlossen werden. Preß verwies auf eine ältere Frau, die ihm nach einer Mundartlesung gesagt habe: „Jetzt hob ich endlich amol des Evangelium in meiner Sproch ghört.“ Vergleichbar positive Reaktionen habe er landauf, landab bei vielen Lesungen bekommen, was nicht nur ihn bestärke, „weiter daran zu arbeiten, biblische Texte in die Mundart zu übersetzen“.
Ähnlich gute Erfahrungen wurden auch auf dem Haßlacherberg gemacht, wo der Heimatpflege-Verein Gehülz/Seelach/Ziegelerden mit seiner Veranstaltungsreihe „Mundart-Advent an der Heimatkrippe“ in verschiedener Hinsicht Neuland betreten hatte. In „KREUZ und QUER“, dem Gemeindebrief der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Kronach, wurde ein fachliches Resümee der in der Gehülzer Michaelskirche durchgeführten Programme gezogen. Darin heißt es, dass Heimatkrippen und heimischer Dialekt eine ungewöhnliche und gelungene Verbindung eingegangen seien. „Mit dem Vorurteil, es könne dabei nur ein romantisch-süßlich-sentimentaler Stimmungsmix herauskommen, wurde aufgeräumt, reichten doch die Texte von meditativ bis zeitkritisch.“ Weiter wurde im Kronacher Gemeindebrief festgestellt: „Mundart kann den unterschiedlichsten Textaussagen eine besondere, im Hochdeutschen nicht zu erreichende Ausdruckskraft verleihen. Mundart kann den Zugang zum Hörer erleichtern. Für den Übersetzer kann es recht reizvoll sein, biblische Aussagen und theologische Gedanken mundartlich auf den Punkt zu bringen.“
Jesus würde heute in Franken Fränkisch sprechen
Was die Würde der Bibel im Zusammenhang mit Mundartübersetzungen betrifft, gab es auch von anderen Seiten positive Stellungnahmen. „Jesus würde heute auch Fränkisch sprechen“, titelte das Sonntagsblatt Oberfranken und Unterfranken unter Berufung auf eine Äußerung des Bayreuther Regionalbischofs Wilfried Beyhl. Nach Beyhls Worten habe Jesus einen Dialekt – Aramäisch – gesprochen. „Heute würde er die jeweilige Sprache der Menschen sprechen – in Franken also Fränkisch.“ 2006 besuchte der Regionalbischof die St.-Michael-Kirche in Gehülz; dort bewunderte er auch die Gehülzer Heimatkrippe, an der der „Mundart-Advent“ jeweils stattfindet (siehe Foto unten).
Das Rothenburger Sonntagsblatt ging wiederholt darauf ein, warum Mundart in die Kirche passt. Als Ausdruck von neuer Vertrautheit und Gemeinschaft liege Mundart in der Kirche im Trend. „Wir müssen das Image los werden, dass Mundart in der Kirche mehr mit Kabarett als mit ernsthafter Übersetzung zu tun hat“, wurde der Neuendettelsauer Pfarrer Frithjof Gräßmann (Autor des Buches „Spricht Gott nur Hochdeutsch?“) zitiert. Der schwäbische Mundart-Pfarrer Rudolf Paul sah im Predigen oder Bibelübersetzen in Mundart gar einen Akt der Läuterung. Ein Mundart-Vaterunser gebe dem Gebet der Christenheit eine neue Würde und Eindringlichkeit. Mundartverkündigung vermittle „die einfache Wahrheit des Glaubens“ und fordere dazu heraus, diese „in die eigene Weltsicht zu integrieren“, stellte Werner Schwartz („Der Dialekt als Gottesdienstsprache“) fest. Mundart gehöre zu den kleinen Schritten auf dem Weg Gottes, zur Welt zu kommen.
Kommt Gott in Mundart manchem zu nahe?
Das vielfältige Engagement um die Pflege der fränkischen Mundart(en) – gerade auch in der Kirche und im Zusammenhang mit der Bibel – verdient ein Lob. Apropos Lob: Der bekannte Liedermacher und gelernte Pfarrer Wolfgang Buck erläuterte: „Wenn a Franke wos gud findet, secht er: Basst scho. Des höchste fränkische Lob, des mä hörn kann, is: Do kommer fei echt nix sogn.“ Auch die Pfarrer nahm Buck hin und wieder auf die Schippe, wie man seinen an Kirchengemeindeglieder gerichteten Fragen entnehmen kann: „Wie entsorchtn ihr eier Zucchini? Lecht ihr die aa eierm Pfarrer vor di Dier?“ Wolfgang Buck räumte auch ein, dass manche Leute „etwas Heiliges nicht im Dialekt“ hören wollen. Für sie passten Glaube und Mundart nicht zusammen. „Vielleicht kommt manchem Gott dadurch zu nahe“, mutmaßte Buck.
Wie dem auch sei – 2006 zeigte sich das bayerische Kultusministerium bezüglich des „Lukas auf Fränkisch“ überzeugt, „dass sich Buch und CDs mit Gewinn im Schulunterricht, beispielsweise in den Fächern Deutsch und Religionslehre, einsetzen lassen“. Im „fränkischen Lukas“ sei es „auf hervorragende Weise gelungen, die biblischen Inhalte zu aktualisieren und gleichzeitig die Verschiedenheit der fränkischen Dialekte darzustellen“. Im Zusammenhang mit der vom Kultusministerium verantworteten Initiative „Pflege und Erhalt der in Bayern gesprochenen Mundarten“ könnten somit erstmals religiöse Dialekttexte unterrichtsmäßig behandelt werden.
(Bernd Graf / 28. 3. 2000 und 10. 6. 2008)
Siehe dazu auch:
– Mundart-Forums-Beitrag „Pflege des Oberostfränkischen stiftet heimatliche Identität“ vom 22. 4. 2008
– Seite „Mundart-Advent“.
Wenn dä Jejsus oan Jüngsdn Douch widdekümmd
Dä Jejsus hodd seina Jünge dezijeld, wos bassijed, wenns amoll aufn End zugedd: „Oa di Sunna, oan Mond und oa di Schdään wädds schregglicha Zeichn gejm und auf Ärdn wään di Völge nümme wissn, wos sa ve laude Angsd mach solln, wall es Mee dobbd und gewaldicha Schdormwälln auf enna zukumma. Halbe duod ve Angsd wään di Menschn senn, wenn sa märgng, wi di gansn Gräfd, di wu es Wäldall zammhaldn, auße Kondroll geroudn.
Und doann wään sa en Härrgodd sein Bevollmächdichdn, en Menschnsohn, wi in aane Wolgng kumma sähn mid gruoßa Moachd und Härrlichkeid. Wenn de märgd, däss des alles oafengd, doann rabbld euch auf und guggd widde auf- und voowädds, walls doann nümme lang daued und eue Älöjsung dou is.
Oa an Beischbill will igs euch vedeudlich: Guggd amoll denn Feichnbaam oa, und übehabbd alla Baame. Kaum däss sa ausgschloung hoamm, dou sächd de des und märgd, däss dä Summe voo di Düe schdedd. Dou brauchd euch kanne wos ze äglään. Und wenn de sächd, däss dii Sachn bassijen, ve dennena wu ich groad geblauded hou, doann solld de genausu wi bein Feichnbaam märg, däss des Voozeichn senn und däss edsde ball dä Härrgodd kümmd und a neus Lejm und a neua Wäld schaffd.
Wos ich euch souch, is garandijed woah: Di jedsich Generadsjon wädd nuch alles älejm, wos ich gsochd hou. Midn Himml und mid di Ärdn gedds amoll ze End, oabe mid denn, wos ich euch vekünd hou, gedds nie und nümmemeh ze End; des gild fe ümme und ejwich.“
Foto: Dorothea Richter
Prominentester Gast des Heimatpflege-Vereins auf der Gehülzer „Mundart-Kanzel“ zu St. Michael war die Spitzenpolitikerin Renate Schmidt, die beim „Mundart-Advent an der Heimatkrippe“ am 8. Dezember 2000 die von ihr ins Fränkische übersetzten Abschnitte des Lukas-Evangeliums vortrug. Sie war eine der 70 Fränkinnen und Franken, die auf Initiative von Pfarrer Hartmut Preß beim Projekt „Lukas auf Fränkisch“ mitgewirkt hatten. Vor ihrer Mundartlesung in Gehülz war Renate Schmidt Bundestags-Vizepräsidentin und SPD-Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag, zur Zeit der Lesung war sie stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei. Dass sie in Gehülz unter anderem Lukas 18, 15 – 17 über Jesus und die kleinen Kinder in ihrer Mundartfassung („Dä Herr Jesus und di Kindälä“) vorlas, muss nicht als ein früher Hinweis auf ihr späteres Amt als Bundesfamilienministerin gedeutet werden. Foto: Rainer Glissnik |