„Seelacher Gespräche“: Regeln zur Mundartschreibweise
Im Rahmen verstärkter mundartpflegerischer Aktivitäten seitens der Kreisheimatpflege Kronach gab es im Jahr 2000 in Seelach drei Fachgesprächsrunden zur Mundartschreibweise. Diese „Seelacher Gespräche“ gingen auf eine Anregung des Heimatpflege-Vereins Gehülz/Seelach/Ziegelerden zurück und fanden auf Einladung und unter Leitung von Kreisheimatpfleger Egon Herrmann im Gasthaus „Zum Heiligenwäldchen“ statt (siehe Foto unten vom ersten Fachgespräch).
Sprachwissenschaftliche Ansprüche und Lesbarkeit
Dr. Hans-Jürgen Feulner (Tübingen/Steinwiesen) trug „Überlegungen zum bisher ungelösten und vielleicht auch unlösbaren Problem der Schreibweise der oberostfränkischen Mundart im Landkreis Kronach“ vor. Als Mitautor des Mundart-Wörterbuchs für den Landkreis Kronach gab Feulner im Wesentlichen die Standpunkte wieder, die in dieses Werk eingeflossen waren.
In der populären Mundartliteratur benutze nahezu jeder Dialektschreiber seine eigene literarische Umschrift, führte Feulner aus. Die Diskussion um eine einheitliche Transkription sei in der Mundartforschung noch nicht entschieden. Unabhängig davon müsse man bei der Schreibung der oberostfränkischen Mundart im Wesentlichen sechs Sonderlaute berücksichtigen, deren Wiedergabe überwiegend durch Sonderzeichen erfolgen sollte, unterstrich Feulner, wobei er das Zeichen „å“ für einen regionaltypisch-markanten Laut – das sehr dunkle und tiefe „o“ – für besonders wichtig hielt.
Beim Kronacher Mundart-Wörterbuch habe der Grundsatz vorgeherrscht: „So nahe an der Standardsprache wie möglich, aber nur so viele Sonderzeichen wie nötig“. Durch diesen Kompromiss seien nach Auffassung des Autorenteams sowohl die sprachwissenschaftlichen Ansprüche ansatzweise berücksichtigt als auch die Lesbarkeit und das Erfassen der verschiedenen Dialektbegriffe erleichtert worden. Auch ermögliche es die im Wörterbuch gewählte literarische Umschrift, kleinere lokale Mundart-Variationen zu berücksichtigen.
Bei der Frage nach einer möglichen Vereinheitlichung der Schreibweise der oberostfränkischen Mundart auf Landkreisebene gab Hans-Jürgen Feulner unter anderem zu bedenken, dass der Dokumentationswert aufgeschriebener Mundart-Ausdrücke von der Einhaltung bestimmter Grundregeln beim Schreiben abhänge. Im Hinblick auf die populäre Mundartliteratur hielt Feulner lediglich einige einfach handhabbare Richtlinien für die zukünftige Schreibung für sinnvoll. So sprach er sich dafür aus, „p“ und „t“ durch „b“ und „d“ zu ersetzen, da die besonders stark ausgeprägte „Konsonantenschwächung“ geradezu das „Marken-Zeichen“ der oberostfränkischen Mundart sei.
Buchstabenfolge „oa“ statt Sonderzeichen „å“
In der Diskussion vertrat insbesondere Hans Blinzler (Kronach/Gehülz) Gegenpositionen zu einzelnen Feulner-Thesen. Zwei Grundregeln betonte Blinzler: „Schreibe, wie du sprichst, aber schreibe noch verständlich.“ Und: „Keine Einführung von neuen, dem Durchschnittsleser im Frankenwald unbekannten Sonderzeichen“. Für den zwischen „o“ und „a“ liegenden Vokal favorisierte Blinzler die von mehreren Dialektschreibern im Landkreis verwendete Buchstabenfolge „oa“ anstelle des Sonderzeichens „å“. Wegen der leichteren Lesbarkeit wollte er harte Konsonanten – trotz der weichen Aussprache – hart geschrieben sehen.
Dr. Eberhard Wagner (Bayreuth) führte aus, dass sich der Autor eines Werkes immer fragen müsse: Für wen schreibe ich das? Wenn beispielsweise ein Text hauptsächlich für Zeitungsleser im Landkreis Kronach bestimmt sei, seien andere Maßstäbe anzulegen, als wenn es um einen wissenschaftlichen Vergleich mit anderen Mundartregionen gehe. „Die Leute, die hier leben, haben die orts- bzw. regionaltypischen Laute im Ohr und können sie dem Gelesenen zuordnen“, so Wagner.
Einvernehmen bestand im Gesprächskreis darüber, dass es noch stärker in das Bewusstsein der Einheimischen dringen sollte, welch besonderen kulturellen Reichtum die mundartliche Vielfalt des Landkreises Kronach darstelle. Es überwog die Auffassung, dass – besonders im Interesse der Leser – die Einführung gemeinsamer Regeln zur Mundartschreibweise anzustreben sei, wobei die Anwendung dieser Regeln ohnehin nur unverbindlich empfohlen werden könne. Insbesondere solle auf die Regeln zurückgegriffen werden, wenn man die konkrete Sprechweise exakt dokumentieren wolle und den Aspekt der leichten Lesbarkeit für „Ungeübte“ vernachlässigen könne.
Grundsätzlich sollte geschriebene Mundart – so die vorherrschende Meinung in der „Expertenrunde“ – möglichst weitgehend das Klangbild des Gesprochenen wiedergeben, auch wenn das eventuell zu Lasten der Wiedererkennbarkeit einzelner Wörter geht und den Lesefluss verlangsamt. Diese Forderung trägt auch dem Anspruch Rechnung, die unterschiedlichen Mundartausprägungen auf Landkreisebene mit ihren jeweiligen Eigenheiten schriftlich bestmöglich darzustellen. Mit deutlicher Mehrheit wandten sich die Gesprächsteilnehmer gegen die Einführung von Sonderzeichen.
Mundartschreibregeln als unverbindliche Empfehlung
Was sind nun die wesentlichen Bestandteile des empfohlenen Regelwerkes für das Schreiben der oberostfränkischen Mundart im Landkreis Kronach und seinen einzelnen „Mundartzonen“? Für die Wiedergabe des für die heimische Mundart typischen Lautes zwischen „o“ und „a“ wird – trotz mancher Bedenken – die Buchstabenfolge „oa“ verwendet (z. B. „Woald“ für das hochdeutsche „Wald“). Entsprechendes gilt für den zwischen „ö“ und „ä“ liegenden Laut „öä“ (z. B. „dä Öäschd“ für „der Erste“). Anwendung finden auch die Buchstabenkombinationen „ej“ (z. B. „Wejch“ für „Weg“) und „ije“ (z. B. „nije“ für „nicht“).
Bei der Frage, ob „p“ und „t“ weich geschrieben werden, wird dem individuellen Sprachempfinden ein Spielraum für den Einzelfall eingeräumt, wobei nicht verkannt wird, dass durchaus gewichtige Gründe die „schriftliche Verweichlichung“ nahelegen. Entsprechendes gilt in den Fällen, in denen das hochdeutsche „k“ mehr oder weniger stark in Richtung „g“ ausgesprochen wird (z. B. „Kroanich“ oder „Groanich“ für „Kronach“).
Als Faustregel gilt, dass eine Vokalverdopplung den Laut dehnt (z. B. „Baa“ für „Bein“), während die Verdopplung eines Konsonanten das Gegenteil bewirkt (z. B. „Banne“ für „Beine“). Wo im Hochdeutschen ein Dehnungs-„h“ steht, sollte in der Mundartschreibung dessen Übernahme grundsätzlich einer Vokalverdopplung vorgezogen werden. Wenn man die Dehnung eines „oa“-Lautes verdeutlichen will, sollte man (an Stelle einer Lautverdopplung) das „h“ unabhängig davon einsetzen, ob es in der hochdeutschen Schreibweise vorhanden ist.
Möglichst nicht ersetzt werden sollten „z“ durch „ds“, „eu“ durch „oi“ und „ei“ durch „ai“. Umgekehrt empfiehlt es sich, „ie“ durch „ii“ zu ersetzen (z. B. „Viich“ für „Vieh“ wie „Schdriich“ für „Strich“). Freigestellt bleibt es, ob man „gs“ statt „x“ und „gw“ statt „q“ verwenden möchte. Die Schreibweise soll erkennen lassen, wann Wörter als Einheit gesprochen werden (z. B. „iss-e“ oder „iss-ä“ statt „is e“ oder „is ä“ für „ist er“, „wii-re“ statt „wii re“ für „wie er“ oder „als er“).
Individuelle Spielräume beim Dialektschreiben
Einig war man sich bei den „Seelacher Gesprächen“ auch darüber, dass die empfohlenen Richtlinien nicht alle Detailfragen klären können. Die Beachtung dieser Grundregeln lässt den einzelnen Mundartautoren durchaus noch individuelle Spielräume beim Dialektschreiben.
Abschließend sei ein in Seelach formulierter Mustersatz wiedergegeben, der die Anwendung der meisten dieser Regeln verdeutlicht: „Dä Voarre hod(d) gsochd, mije genna ve Sejlich nei-n Groaniche Schüzznfäsd, wall dou defüe hodd-e sein Duoschd aufkhuom.“ (Der Vater hat gesagt, wir gehen von Seelach hinein ins Kronacher Schützenfest, denn dafür hat er seinen Durst aufgehoben.)
Bernd Graf
(Dieser Beitrag wurde in leichter Abänderung übernommen aus dem „Heimatkundlichen Jahrbuch des Landkreises Kronach“ 23-2001/02.)
Das Bild zeigt Mundartautoren, Heimatpfleger, Pädagogen und Sprachwissenschaftler im April 2000 beim ersten „Seelacher Gespräch“ zur Mundartschreibweise im Landkreis Kronach (von links): Heinrich Zschach (Ludwigsstadt), Bernd Graf (Gehülz, Sachgebiet Öffentlichkeitsarbeit und Kreisheimatpflege beim Landratsamt Kronach), Rudolf Ruf (Nordhalben), Johanna Wilde (Wallenfels), Dr. Hans-Jürgen Feulner (Tübingen/Steinwiesen), Heidi Düßel (Mitwitz-Neundorf), Hans Weber-Villa (Kronach), Rosa Sachs (Mitwitz-Schwärzdorf), Hans Blinzler (Gehülz, Maximilian-von-Welsch-Realschule Kronach), Renate Geiger (Schneckenlohe), Egon Herrmann (Hummendorf, Kreisheimatpfleger), Dr. Eberhard Wagner (Bayreuth), Horst Pfadenhauer (Hummendorf, Kaspar-Zeuß-Gymnasium Kronach).